Die Lesegesellschaft lud Yvonn Scherrer am 6. Februar zu einer Feier der Sinne ein.
Theater Ticino, Wädenswil
Eine ansehnliche Anzahl Gäste kam an diesem sonnigen Wintervormittag zur Matinée mit der blinden Autorin Yvonn Scherrer ins Theater Ticino. Und was das Publikum geniessen durfte, war ein empfindungsreich colorierter und mannigfaltig duftender Kontrast zum oft grau-nassen Winteralltag − alles in den ruhig klingenden berndeutschen Dialekt gefasst. Ihr Führerhund Aslan schien das warme Bühnenlicht, das ihn wärmt, zu geniessen.
Gleich zu Beginn verführte Frau Scherrer die Zuhörerinnen und Zuhörer in die Wärme der Rhodopen im sommerlichen Bulgarien. Das schöne Gefühl einer zarten Lebendigkeit breitete sich im Körper aus, verursacht durch die Vorstellung eines Füllens, das neben dem Pferdewagen einher "ledig desume gümperlet". Vogellieder erfüllen den Raum. Intensiv duftet der Holunder, fein und fremd, archaisch wild mit einer strengen schweissigen Note, in der Sonntagsnachmittagswärme.
Den weiteren Verlauf der Lesung bestimmten feinst empfundene Farben: Sie schillern im brodelnden 550 Liter fassenden Tank beim Destillieren von Rosenöl aus Rosenblüten: Lapislazuli leuchtet aus dem schweren fast violetten Purpur, das im Licht wieder himmelblau aufleuchtet. Dann, welch wunderbare Beschreibung des Rosenölduftes: "Kühl wie eine Hand auf einer fiebrigen Stirn." Kann man das schöner sagen! Und Yvonn Scherrer sagte auch: "Die Idee der Natur ist, dass die Wahrnehmung als EINE mit allen Sinnen gleichzeitige funktioniert. Wir sehen auch mit den zehn Fingeraugen." Ebenso sagte sie: "Ich sehe die Farben wie jene Künstlerinnen und Küstler, die das, was sie malen, auch nie draussen gesehen haben. Sie setzen ein inneres Bild um. Das mache ich ebenso, wenn ich schreibe und male". Das Publikum konnten genau das an diesem Vormittag im Theater Ticino erleben.
Yvonn Scherrer ist Buchautorin, Radiojournalistin, Aromatherapeutin und Theologin. Seit 1998 arbeitet sie bei Radio SRF1 als Senderedaktorin. Mit sieben Monaten verlor sie ihr Augenlicht. Ihrer Behinderung verdankt sie einen ganz besonderen Zugang zum Königreich der Sinneswahrnehmung.
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