Freitag, 12. April 2024

Kunst des literarischen Übersetzens


Rosenmattsaal, ref. Kirchgemeindehaus Wädenswil


Die Lesegesellschaft Wädenswil hatte für Freitag, 12. April, zu einem Gespräch unter dem Titel «Die Autorin und ihr Übersetzer» in den Rosenmattsaal eingeladen. Aus dem Austausch zwischen der Autorin Leta Semadeni und den beiden griechischen Übersetzern Theo Votsos und Iannis Kalifatidis erfuhren die Teilnehmenden viel Spannendes und Überraschendes über die Kunst und Tücken des Übersetzens.

Den Anlass eröffnete Theo Votsos mit einem Text aus der griechischen Übersetzung von «Tamangur», dem preisgekrönten Werk der schweizerischen Autorin Leta Semadeni. Anschliessend las sie die gleiche Passage in der Originalsprache vor. Ziel dieses Einstiegs war es, den Zuhörenden eine Hörerfahrung zu bieten. Die Kunst des literarischen Übersetzens besteht nämlich darin, die Tonalität, den Klang und den Sprachstil des Originals in der Zielsprache beizubehalten und gleichzeitig ein neues geistiges Werk zu realisieren. Dass dazu ein intensiver und vertrauensvoller Austausch zwischen Autorin und Übersetzer entscheidend ist, zeigte sich in der lebhaften, von Iannis Kalifatidis moderierten Unterhaltung. Votsos, der auch Werke von Keller, Muschg, Gotthelf oder Walser übersetzte, erzählte, dass er für Redewendungen wie «sich aus dem Staub machen», «neben den Schuhen stehen» oder «zu tief ins Glas schauen» nur im Kontakt mit Semadeni die treffende Übersetzung finden konnte. Semadeni ihrerseits berichtete von einer negativen Erfahrung, denn nicht immer finden die Übersetzer einen Zugang zu einem Werk. Dabei wurden Semadenis Worte zwar nicht Wort für Wort übersetzt, aber jedes Wort wurde geschliffen und poliert und so wurde zum Beispiel aus dem Wort «Geruch» das − so Semadeni − zurechtgestutzte Wort «Duft». Auf einen weiteren Aspekt der Übersetzungsarbeit, nämlich auf die Kunstvermittlung, zeigten die drei Gesprächspartner am Beispiel der Wörter «Knödel» und «Kaiserschmarren», für die es keine griechischen Pendants gibt.

Auf die Frage aus dem Publikum nach der Wertschätzung meinten die beiden Übersetzer, dass sie in den letzten 20 Jahren einen Wandel feststellen. So seien sie neuerdings besser sichtbar, ihre Namen würde zum Teil auf dem Buchcover aufgeführt oder sie würden im Innern des Buches kurz vorgestellt. Auch wurde die Zukunft des Übersetzers angesichts der immer besser werdenden Übersetzungsprogramme und der Künstlichen Intelligenz KI thematisiert. Dank des gewährten Einblicks in ihre Übersetzungsarbeit und die erwähnten Beispiele konnten die Gesprächsteilnehmenden die Gäste davon überzeugen, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt durch KI das Berufsbild des literarischen Übersetzers nicht gefährden kann.

Liza Sulzer von der Arbeitsgruppe Literatur, die den Anlass organisierte, bedankte sich beim Übersetzerhaus Loren sowie dem Bundesamt für Kultur für die grosszügige Unterstützung.

 

Leta Semadeni, geboren in Scuol, studierte Sprachen in Zürich, Perugia und Ecuador. Lehrtätigkeit in Zürich und im Engadin. Ihr erster Roman «Tamangur» wurde 2016 mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. 2023 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Schweizer Grand Prix Literatur.

 

Theo Votsos, geboren in Stuttgart als Sohn griechischer Migranten. Übersetzer von griechischer und deutscher Literatur, Medien-, Film- und Literaturredaktor. Für seine Übersetzungen erhielt er zahlreiche Stipendien und Preise.